Im September 2016 wurde in Belgien erstmals aktive Sterbehilfe bei einem Minderjährigen durchgeführt. Eine 2013 vom belgischen Senat beschlossene Ausweitung des 2002 in Kraft getretenen Euthanasie-Gesetzes machte dies möglich.

Der Fall erregte erhebliches mediales Interesse. Auffallend war die neutrale Berichterstattung in den deutschsprachigen Medien. Zitiert wurde der Chef der nationalen Sterbehilfekommission, Wim Distelmans: „Zum Glück gibt es nur sehr wenige Kinder, für die Sterbehilfe in Frage kommt. Aber das bedeutet nicht, dass wir diesen Kindern das Recht auf einen würdevollen Tod verweigern sollten.“

Die eingehende Sichtung des zugrundeliegenden Euthanasie-Gesetzes und der Voraussetzungen für die Anwendung bei Minderjährigen jeglichen Alters wirft Fragen auf: Zu der geforderten „ausdrücklichen Bitte des Kindes“ um Sterbehilfe ist festzuhalten, dass Kinder erst ab einem Alter von 14 Jahren eine Vorstellung von der Endlichkeit des Lebens haben. Diesen Entwicklungsschritt kann auch das geforderte psychologische Gutachten über die volle Zurechnungs- und Urteilsfähigkeit des minderjährigen Patienten nicht überspringen. Die weiters geforderte medizinische Klassifikation des Leidens als „unerträglich“ ist schon vordergründig ein äußerst subjektiver Parameter und muss, wie auch der geäußerte Todeswunsch, für die betreuenden Personen vor allem Antrieb sein, die palliativmedizinischen Möglichkeiten der Behandlung von körperlichen und seelischen Symptomen, die die Lebensqualität beeinträchtigen, auszuschöpfen. Die professionelle palliativmedizinische Betreuung ist die wichtigste Voraussetzung für einen würdevollen Tod.

Palliativmedizin ist im Kontinuum der ärztlichen Behandlung der letzte und wichtigste Dienst, den der Arzt seinem unheilbar kranken Patienten im Wissen um die Endlichkeit des Lebens leisten kann. Die aktive Sterbehilfe missbraucht die Beziehung zwischen Arzt und Patient, zu deren Beginn der Arzt die Verpflichtung eingeht, das Leben des Patienten zu bewahren und zu schützen, und schädigt unwiderruflich das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Eine ärztliche Handlung, die das Ziel hat, das Leben des ihm anvertrauten Patienten zu beenden, widerspricht dem therapeutischen Auftrag. Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe macht den Arzt zum Handlanger eines pervertierten Autonomieverständnisses, das der Gesellschaft ein Recht auf die Beendigung des eigenen Lebens suggeriert. Das Recht auf Leben, das in Artikel 3 der Menschenrechte verankert ist, muss vor allem zum Schutz der Schwächsten unserer Gesellschaft – der Kinder, Alten, Behinderten – ein unübersteigbares Gebot ärztlichen Handelns bleiben. Die Ausweitung des belgischen Euthanasiegesetzes auf Minderjährige ist so das erschreckende Abbild einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der die Kinder, die zu den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft gehören, zu Opfern eines alles beherrschenden Autonomiestrebens werden. Wo das Recht auf Leben brüchig wird und das Verbot, einen Menschen zu töten, in Frage gestellt wird, ist der Frieden in einer Gesellschaft gefährdet – auch dies lehrt uns die Geschichte.

In der medialen und politischen Landschaft Österreichs ist von einem Bewusstsein für die Brisanz von Fragen des Lebensschutzes für unsere Gesellschaft erschreckend wenig zu spüren. Das mediale Interesse ist nach der Enquete „Würde am Ende des Lebens“ 2014 rasch wieder abgeflaut, vor allem da das Thema Sterbehilfe nicht im Vordergrund stand. Einem politischen Offenbarungseid gleicht es jedoch, dass nach wie vor kein für alle Menschen gleichermaßen gesetzlich verankerter Zugang zu palliativmedizinischer Versorgung besteht, obwohl dies in den abschließenden Empfehlungen der Enquete-Kommission gefordert wurde. Solange diese Forderung nicht flächendeckend umgesetzt ist, wird sich die gesellschaftliche und politische Meinung immer stärker zu einer Aufweichung des Lebensschutzes und hin zu einer – wie immer verbrämten – Legalisierung der aktiven Sterbehilfe bewegen, und so die Schutzlosesten unserer Gesellschaft preisgeben.

Die Eröffnung des Mobilen Kinderhospizes „Papageno“ in Salzburg 2015 ist ein Hoffnungsschimmer, auch wenn dessen Entstehung wiederum nicht politischem Willen, sondern dem Engagement von Hospiz-Bewegung und Caritas zu verdanken ist. Das „Salzburger Ärzteforum für das Leben“ fordert die politisch Verantwortlichen auf, endlich ihre Verantwortung für den Schutz und das Wohlergehen ihrer Bürgerinnen und Bürger wahrzunehmen, und den Zugang zu palliativmedizinischer Versorgung für alle Menschen gesetzlich zu verankern.

Für das Salzburger Ärzteforum für das Leben

Dr. Ursula-Maria Fürst