Mitte Jänner 2022 ließ der französische Präsident Emanuel Macron bei seiner Rede im Europäischen Parlament in Straßburg aufhorchen: Er plädiere für eine „Aktualisierung“ der Grundrechtecharta der Europäischen Union – in diesem Zusammenhang sei neben Umweltschutz auch ein „Recht auf Abtreibung“ in dieser zu verankern.
Er wolle während der französischen EU-Ratspräsidentschaft „unsere Werte“, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie fördern. Gleichzeitig beteuerte er, dass es die drei großen Versprechen der Europäischen Union – Demokratie, Fortschritt und Frieden – neu zu verankern gelte.
Die EU-Grundrechtecharta wurde 2000 durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission und des Rates unterzeichnet und ist seit 2009 in der gesamten Europäischen Union rechtsverbindlich. In Artikel 2, Absatz 1 der Grundrechtecharta steht explizit: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.“ Ausdrücklich verboten sind die Todesstrafe, eugenische Praktiken und das reproduktive Klonen von Menschen. Ein „Recht auf Abtreibung“ findet sich in diesem Text ebenso wenig wie in der Menschenrechtskonvention der UNO bzw. des Europarates.
Dem Vorstoß Macrons ging die Zustimmung des EU-Parlamentes zum sogenannten Matic-Bericht („Entschließungsantrag zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit“) im Juni 2021 voraus, in dem der Zugang von Frauen zu einer Abtreibung als ein „gesetzlich zustehendes Recht auf eine medizinische Versorgung“ proklamiert wurde.
Es ist ebenso erschütternd wie unnachvollziehbar, dass Präsident Macron gerade mit dem Hinweis auf die Werte der EU und ihrer Grundaufgaben (insbesondere der Friedenssicherung) argumentiert, um Abtreibungen als Grundrecht zu verankern. Einer ganzen Bevölkerungsgruppe – jener der Ungeborenen – systematisch ihr Recht auf Leben und ihre Schutzbedürftigkeit radikal abzuerkennen und dies als Förderung des Friedens anzusehen, ist ebenso zynisch wie paradox.
Es gilt offenbar die Devise, eine Ideologie – koste es was es wolle – in das EU-Fundament einzementieren zu wollen. Und der Preis dafür ist hoch:
Von den weltweit jährlich etwa 11 Mio. Abtreibungen werden ca. 780.000 in den EU-Mitgliedstaaten durchgeführt. (Quelle: Abortion Worldwide Report 2017) Um die Trageweite abzuschätzen: Derzeit zählt die EU ca. 450 Mio. EU-Bürger, die jährliche Geburtenrate liegt bei ca. 4 Millionen. Bei 780.000 Abtreibungen jährlich ergibt sich ein Verhältnis zwischen Schwangerschaftsabbrüchen und Lebendgeburten von 1:5,5. d.h. auf 1000 Lebendgeburten fallen statistisch 180 Abtreibungen. (Quelle)
Kann sich die EU langfristig eine derartig hohe Todesrate Ungeborener leisten? Die Forderung nach einer weiteren Liberalisierung der Abtreibungen klingt vor diesem Hintergrund absurd.
Mit der Etablierung eines „Rechtes auf Abtreibung“ in der EU-Grundrechts-Charta würde erreicht werden, dass die bis dato geltende souveräne Legislativbefugnis der einzelnen Mitgliedstaaten zu Themen wie Gesundheit, Sexualerziehung, Reproduktion und Abtreibung unterminiert und defacto abgeschafft würde.
Sieht man die Forderungen des Matic-Berichtes im Kontext mit Macrons Ansinnen, so hätte ein „Recht auf Abtreibung“ mittelfristig auch zur Folge, dass Ärztinnen und Ärzten sowie medizinische Institutionen das Recht und die Freiheit zur Ablehnung aus Gewissensgründen abgesprochen werden könnte.
Abgesehen von den menschlichen Tragödien würde eine Verankerung eines Rechtes auf Abtreibung auch bedeuten, dass diese aus den Mitteln für die öffentliche Gesundheit finanziert werden müssten. Somit würden alle EU-Bürger – ungeachtet ihrer religiösen und ethischen Haltung – Abtreibungen mitfinanzieren müssen, was einem ideologischen Diktat gleichkäme.
So wie Macron Umweltschutz in die EU-Grundrechts-Charta aufnehmen will und gleichzeitig den massiven Ausbau von Atomkraft als „Grüne Energiequelle“ verfolgt, versucht er Freiheit und Frieden durch ein Un-Recht auf Abtreibung auszubauen. Beide Ansinnen sind aufgrund des Widerspruchs in sich zum Scheitern verurteilt. Hier zeigt sich eine paradoxe Analogie, indem Irrwege weiter beschritten werden sollen, die hinsichtlich unbeherrschbarer, intrinsischer Langzeitfolgen nicht zur echten Problemlösung beitragen können, sondern nur zusätzliche schaffen.
Eine verantwortungsvolle, zukunftsorientierte und friedenssichernde Europa-Politik müsste angesichts der humanitären Tragödie millionenfacher Abtreibungen, der vielfachen Folgewirkungen auf die psychosomatische Gesundheit der betroffenen Frauen / Paare, auf das demographische Gefüge der Staaten und der sich daraus ergebenden gravierenden soziologischen Folgen bemüht sein, Abtreibungen zu vermeiden. Es wäre Indiz politischen Weitblicks sich auf EU-Ebene zu einer Optimierung der Hilfestellungen zu bekennen, um Frauen auch in schwerwiegenden Schwangerschaftskonfliktsituationen eine realistische Option zu ermöglichen, JA zu ihrem Kind sagen zu können.