Die französische Nationalversammlung hat vergangene Woche mit großer Mehrheit dafür gestimmt, ein „Recht auf Abtreibung“ in der französischen Verfassung zu verankern. Auch wenn dieses Vorhaben durch den Senat – die zweite parlamentarische Kammer – erst gebilligt und in einem landesweiten Referendum auch noch die Zustimmung einer Mehrheit der Wahlberechtigten eingeholt werden muss, um die französische Verfassung um den Satz zu ergänzen: „Das Gesetz garantiert (…) den gleichen Zugang zum Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch“ – diese Mehrheitsentscheidung der französischen Nationalversammlung hat weit mehr als nur symbolischen Charakter:
Von den Befürwortern wird ein „historischer Sieg für die Frauen“ proklamiert – es muss in Wahrheit aber auch auf eine historische Untergrabung des Rechts auf Leben einer ganzen Bevölkerungsgruppe (der der Ungeborenen) und einen in der Geschichte unvergleichlichen Angriff auf das Recht auf Gewissenfreiheit der Ärzteschaft, des medizinischen Personals sowie der Krankenhausträger hingewiesen werden.
Denn: Bereits bisher war durch die französische Gesetzgebung Abtreibung legalisiert und Frauen daher die Option eines Schwangerschaftsabbruchs in großem Umfang gewährt worden. (Eine analoge Situation findet sich in Österreich, wo Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen straffrei gestellt sind – und dennoch grundsätzlich ein strafrechtliches Delikt darstellen.) Mit der Etablierung eines Verfassungsrechts auf Abtreibung wird nicht der Weg zur Abtreibung geebnet … denn dieser ist schon längst etabliert. Vielmehr wird aus ideologischen Gründen eine grundsätzliche Schutzbedürftigkeit Ungeborener in Abrede gestellt, deren Schutzanspruch und Recht auf umfassenden Schutz ausgehebelt. Damit soll eine verfassungsmäßige Diskriminierung verankert werden – wie soll dies mit den Idealen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vereinbar sein?
Ein gesetzlich verankertes Recht zieht aber auch nach sich, dass dessen Umsetzung garantiert werden muss: Es muss Sorge dafür getragen werden, dass den Betroffenen zu Ihrem Recht verholfen wird. Für verfassungsmäßig verankerte Rechte gilt dies wohl in besonderem Maße. Mit Blick auf ein in der Verfassung garantiertes „Recht“ auf Abtreibung bedeutet dies konkret, dass allen Frauen ein (in logistischer, geographischer und finanzieller Hinsicht) völlig uneingeschränkter Zugang zu Abreibungen, die als Teil der „reproduktiven Gesundheitsvorsorge“ bezeichnet werden, garantiert sein muss. Dieser Garantieanspruch wird auf die Ausführenden als Pflicht übertragen: In logischer Konsequenz eines „Rechtes auf Abtreibung“ haben Ärztinnen und Ärzte bzw. Pflegepersonal dann als Teil ihrer medizinischen Versorgungspflicht Abtreibungen durchzuführen bzw. an ihnen mitzuwirken. Ebenso können sämtliche Träger öffentlicher Krankenanstalten (also auch Ordensspitäler entgegen ihrer konfessionellen Linie) dazu verpflichtet werden, Schwangerschaftsabbrüche in ihr medizinisches Portfolio aufzunehmen und für ein ausreichendes Angebot und die professionelle Ausführung von Abtreibungen als „Gesundheitsleistung“ Sorge zu tragen.
Im Rahmen der Gesetzgebung hinsichtlich Euthanasie und assistierten Suizids in verschiedensten europäischen Staaten wurde in den letzten 2 Jahrzehnten ein gesetzliches Tötungsrecht – allerdings ein indirektes Selbsttötungsrecht – formuliert und eingeführt (wenngleich nicht im Verfassungsrang). Nun soll ein Recht auf Tötung Dritter als Präzedenzfall etabliert werden: Eine Epoche der rechtmäßigen Fremdtötung im Namen der eigenen Freiheit und Gesundheit scheint eingeläutet zu werden. Wer garantiert, dass den Ungeborenen nicht bald andere wehrlose Gruppen wie geborene Behinderte, Schwerstkranke, Pflegebedürftige oder Greise folgen, wenn auch diese der persönlichen Freiheit entgegenstehen?
Welcher Qualitätsanspruch kann an eine Verfassung im Ganzen noch gestellt werden, wenn ein Unrecht eingewoben wird. Und welches Bild einer Gesellschaft entblößt sich, wenn dieses Unrecht im Namen der individuellen Freiheit als Erfolg deklariert, anstatt den damit einhergehenden Bruch der Verfassung zu thematisieren.
Der französische Präsident Macron hatte bereits im Jänner 2022 im Europäischen Parlament in seiner Rede zu den Vorhaben der französischen EU-Ratspräsidentschaft als ein Ziel angeführt, das Recht auf Abtreibung in die EU-Grundrechtecharta aufzunehmen. Dieses Vorhaben scheint also nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa anvisiert zu werden.
Ärztinnen und Ärzten in Europa steht möglicherweise mittelfristig die moralische Pflicht der Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen bevor – das Strafmaß könnte wohl angesichts der Verletzung einer Grundrechtecharta oder eines Verfassungsrechtes nicht gering ausfallen.