Hinter der Entscheidung des OGH, einem Kärntner Elternpaar wegen einer angeborenen schweren Behinderung ihres nun sechseinhalbjährigen Kindes (Hydrocephalus, Wirbelsäulendefekt, Klumpfüsse), welche in der gynäkologischen Risikoambulanz bei einer Schwangerschaftsuntersuchung per Ultraschall nicht entdeckt worden war, als Schadenseratzleistung rückwirkend und auch künftig vollen Unterhalt zuzusprechen, steht offensichtlich die bedenkliche Philosophie, dass jedes Elternpaar einen Anspruch – ja das Recht auf ein gesundes Kind habe. Ein solches ist jedem Paar zu wünschen. Jeder Arzt wird sich darum bemühen, sein Bestes zu tun, um diesen Wunsch zu verwirklichen.
Sollte jedoch ein Kind krank oder behindert sein, ohne dass ärztliches „Verschulden“ im Sinne einer Schädigung oder Verletzung des Kindes durch den Arzt bzw. einer unterlassenen Therapie vorliegt, so darf sich nicht aus der enttäuschten Hoffnung auf ein gesundes Kind ein Anspruchsdenken im Sinne von Schadenersatzforderungen entwickeln !
Die übersehene Diagnose mag noch so folgenschwer wie tragisch sein: Es handelt sich weder um eine aktive Schädigung eines zuvor gesunden Kindes durch eine Fehlhandlung eines Arztes, noch um eine Verzögerung einer möglichen Therapie. Das Ausbleiben der Diagnose hatte zur Folge, dass ein Mensch – wenn auch schwer behindert – lebt und nicht abgetrieben wurde. Es wurden dadurch lediglich zwei „Schein-Rechte“ verletzt: das auf ein gesundes Kind sowie jenes auf Abtreibung eines behinderten Föten … beide sind glücklicherweise nicht im Österreichischen Gesetz verankert !
Ein behindertes oder krankes Kind ist (je nach Betrachtungsweise) weit mehr / weniger als ein „Schadensfall“ – es ist eine gewaltige Herausforderung (aber oft auch eine große Bereicherung) für die Eltern und Familie aber auch für das Umfeld, ein Gradmesser für unsere Humanität und Menschlichkeit, ein Mensch, der sich nicht dem Leistungsstreben und Profitdenken unserer Gesellschaft unterwerfen kann und muss. Es ist aber vor allem und unumstößlich ein Mensch, der trotz aller Behinderung ein Recht auf Leben und würdevolle Behandlung hat !
Die Tragweite einer solchen OGH-Entscheidung für den medizinischen Alltag – insbesondere hinsichtlich Schwangerschaftsuntersuchungen sind zu erahnen: Angesichts einer derartigen Rechtsprechung werden Gynäkologen dazu angehalten, im auch noch so geringen Zweifelsfall für eine Abtreibung zu plädieren und so eine Absicherungsmedizin zum Nachteil gesunder Kinder und deren Eltern zu betreiben.
Betont der Vizepräsident des OGH Ronald Rohrer, dass „die Entscheidung keinesfalls als Differenzierung zwischen behinderten und nicht behinderten geborenen Kindern zu sehen ist“, so definiert sich der „Schaden“ in diesem Fall offensichtlich durch die Existenz eines Menschen, der in dieser Form von den Eltern nicht erwünscht war. Müssen wir dann demnächst ein Urteil erwarten, durch welches Eltern Schadensersatz zugesprochen wird, weil ein Gynäkologe das falsche Geschlecht des Kindes vorausgesagt hat ?
Der Oberste Gerichtshof – will er diesen Namen mit Recht tragen – wäre gut beraten, bei derartigen Entscheidungen das Grundrecht auf Leben zu respektieren und nicht in ethisch höchst problematischer Weise zwischen „schadhaftem“ und „nicht-schadhaftem“ Leben zu differenzieren.