Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat durch die Verurteilung eines Salzburger Gynäkologen zu Unterhaltszahlungen als Schadenersatz für die Geburt eines Kindes mit Mb. Down eine medizinrechtlich untragbare, ethisch höchst problematische Entscheidung getroffen, deren Signale verheerende Auswirkungen auf die Arbeit der Mediziner, das Arzt-Patientenverhältnis und die Be-Wertung von Ungeborenen in unserer Gesellschaft nach sich zieht.
Ärzte zu verpflichten, bereits bei bloßem Verdacht auf eine schwerwiegende Erkrankung eine umfassende Aufklärung über alle potentiellen Diagnosen durchzuführen, ohne diese zuvor erhärtet zu haben, ist in der Praxis undurchführbar und vor allem den Patienten nicht zuzumuten. Eine derartige Defensivmedizin würde im speziellen Fall der Schwangerenbetreuung zu einer schweren Belastung des Arzt-Patienten-Verhältnisses, einer Unzahl zusätzlicher, unnötiger, zum Teil invasiver Untersuchungen führen, die durchaus auch Risiken für die ungeborenen Kinder darstellen, und ebenso eine sprunghafte Zunahme an Abtreibung zu Folge haben, um im Zweifelsfall den „sicheren“ Weg zu wählen!
Die Bewertung der Geburt eines behinderten Kindes als Schaden mit daraus abgeleiteten Schadenersatzansprüchen ist aus unserer Sicht skandalös. Die Würde eines Menschen definiert sich nicht anhand seiner physischen oder psychischen Gesundheit. Die Anerkennung der Menschenwürde und des Rechts auf Leben sind Grundrechte, die jedem Menschen – ob geboren oder ungeboren, gesund oder behindert –zustehen. Die Bewertung eines Menschen als Schadensfall für seine Umgebung aufgrund seiner Behinderung widerspricht fundamental dieser Menschenwürde.
Als Ärzte, die sich dem Hippokratischen Eid und damit zum Dienst am Leben verpflichtet fühlen, empfinden wir dieses Urteil des OGH eines Rechtsstaates nicht würdig!
Im Namen von 330 Salzburger Ärztinnen und Ärzten
für das Salzburger Ärzteforum für das Leben
Dr. Florian Baumgartner
Erläuterungen zur Presseerklärung:
Zum Einen ist das Vorgehen des Kollegen, der einen pathologischen Befund erkannte, eine Erkrankung des Kindes vermutete und aus diesem Grund eine Überweisung in die entsprechende Pränatalambulanz ausstellte ohne jedoch alle möglichen Diagnosen mit den Eltern aufgrund seines Verdachtes zu diskutieren, ein medizinisch völlig korrektes Vorgehen. In allen Bereichen der Medizin kann eine Diagnose mit all ihren Facetten und den therapeutischen Optionen mit dem betroffenen Patienten erst dann ausführlich besprochen werden, wenn diese durch entsprechende Untersuchungen erhärtet und so weit wie durch diagnostisches Vorgehen möglich gesichert wurde. Eine derartige Praxis wird täglich tausendfach in ähnlicher Weise in allen Disziplinen der Medizin durchgeführt. (So wird beispielsweise im Rahmen einer Zuweisung zu einer Blutabnahme in ein medizinisches Labor wegen Blutarmut (Anämie) durch den Hausarzt sicherlich auch nicht unmittelbar durch diesen eine umfassende Aufklärung über die potentielle Möglichkeit einer Leukämie, deren Behandlung und Prognose durchgeführt werden, sondern zunächst eine Diagnostik lege artis veranlasst um differentialdiagnostisch die Ursache herauszufinden. In den allermeisten Fällen ist dabei keine Leukämie zu diagnostizieren !) Gerade die Schwangerschaftsuntersuchungen verpflichten den Arzt neben professioneller Sorgfalt auch zu einer besonderen Sensibilität, um eine unnötige Verunsicherung der werdenden Mutter / Eltern ebenso wie im Einzelfall unnotwendige und für das ungeborene Kind nicht risikolose Untersuchungen (z.B. Fruchtwasserpunktion) zu verhindern. Gerade hier hat sich eine stufenweise Diagnostik bewährt.
Wesen des Arzt-Patientenverhältnisses und des sog. „Behandlungsvertrages“ ist auch, dass der mündige Patient den ihm empfohlenen Rat hinterfragen soll, nachfragen kann und – wenn keine Unklarheiten geäußert werden – auch den Rat des Arztes (in diesem speziellen Fall die Vorstellung an der Pränatalambulanz) befolgen sollte. Tut er dies aufgrund seiner Mündigkeit und seiner Freiheit, Empfehlungen zu befolgen, nicht, ist dies (abgesehen von Situationen mit „Gefahr in Verzug“) zu akzeptieren. Es können dann jedoch die Folgen der Unterlassung nicht dem Arzt angelastet werden !
Juristisch und medizinisch inkorrekt ist zum Zweiten die Argumentation, dass in der späteren Schwangerschaft ein Schwangerschaftsabbruch in diesem Falle nicht mehr möglich gewesen wäre. Die eugenische Indikationsregelung in der österreichischen Gesetzgebung stellt – zu ihrer Schande! – ausdrücklich eine Spätabtreibung bei hochgradigem Verdacht auf eine Behinderung des Kindes straffrei! Dass diese gesetzliche Regelung keineswegs dem Gleichheitsgrundsatz entspricht und Behinderte diskriminiert, ist eine Tatsache, gegen die seit Jahrzehnten Behindertenorganisationen zu recht Sturm laufen. Die Benachteiligung behinderter Menschen – die diese ja bereits durch das Wesen ihrer Behinderung erfahren – wird durch eine eugenische Indikationsstellung zur Abtreibung noch verstärkt! Das „Salzburger Ärzteforum für das Leben“ fordert hiermit ebenso ausdrücklich eine Änderung dieses Paragraphen und die Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung bzw. Erkrankung !
Die ethischen Signale, die der OGH-Richterspruch aussendet, fügen sich nahtlos in eine in unserer Gesellschaft mehr und mehr um sich greifende Grundhaltung ein: Offensichtlich gibt es ein Recht und einen rechtlichen Anspruch der Eltern auf ein gesundes Kind, behinderte Kinder werden als Schaden, Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit und somit auch als Ungerechtigkeit gewertet. In argumentativer Folge muss es dann aber auch ein Recht auf Abtreibung geben, wenn ein Kind allein durch seine Geburt und Existenz zur persönlichen Beeinträchtigung der Eltern, zur physischen, psychischen und finanziellen Belastung werden könnte – egal ob das Kind behindert oder völlig gesund ist! Nach jahrzehntelang praktizierter Fristenregelung hat sich scheinbar dieses vermeintliche „Recht auf Abtreibung“ in den Köpfen der Mehrheit der Österreicher (einschließlich OGH-Richtern ?) festgesetzt und will der Tatsache nicht mehr weichen, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach wie vor ein strafrechtliches Delikt – also Unrecht – ist, das nur unter verschiedensten Rahmenbedingungen straffrei gestellt ist.
Man wird von uns Ärzten – auch von höchster Stelle – nicht verlangen können, zu Handlangern einer derartigen Werteskala zu werden. Ebensowenig wie ein Arzt zur Abtreibung eines Kindes gezwungen werden darf und ihm aus der Ablehnung einer solchen Nachteile erwachsen dürfen (s. StGB §96 und §97), kann kein Arzt verpflichtet werden, die Tötung eines Menschen – ob am Anfang oder am Ende des Lebens – als therapeutische Option vorzuschlagen. Dies würde zutiefst dem über Jahrhunderte geltenden Berufscodex der Ärzte, nämlich dem Hippokratischen Eid, widersprechen, der die Ärzte ausdrücklich zum Dienst am Leben verpflichtet. Auch wenn rein formal der Hippokratische Eid seine bindende Kraft verloren hat, fühlt sich die überwiegende Mehrheit der Ärzteschaft diesem doch klar verpflichtet – erkennt sie in ihm eine weiterhin gültige Grundlage, jedem Patienten unabhängig von jeglichen sozialen, ethnischen oder religiösen Unterschieden sorgfältig und in gleicher Weise als Arzt zu dienen.
Das OGH-Urteil drängt nun Ärzte in Ordinationen wie in Krankenhäusern (und im Speziellen Gynäkologen und Geburtshelfer) dazu, im Zweifel auf jeden Fall den medizinisch völlig abgesicherten Weg zu gehen – eine Absicherungsmedizin zu betreiben! Diese Tendenz greift bereits seit geraumer Zeit im Gesundheitswesen um sich: Überhandnehmende Dokumentationstätigkeit ist ebenso deren Folge wie unnotwendige Untersuchungen, welche neben einer persönlichen Belastung der Patienten auch zu enormen Kostenzuwächsen im Gesundheitssystem führen. Dass gerade in der Schwangerenbetreuung dabei auch ungeborene Kinder durch unnotwendige, invasive Absicherungsdiagnostik in ihrer Gesundheit und Überleben gefährdet werden, im Zweifelsfall zur Abtreibung geraten wird und zudem viele werdende Mütter in der Schwangerschaft ihrer Unbeschwertheit beraubt werden, ist logische Konsequenz.
Wir sehen in jedem menschliche Leben ein wertvolles Geschenk, welches uns als Ärzten anvertraut wird, um es zu bewahren. Als Gesellschaft – als Ärzte wie Patienten – sollten wir neu überdenken, dass wir allesamt nur Geschöpfe sind, auf deren individuelle Entstehung und Ausformung wir vielfach nicht Einfluss nehmen können und – bei bestehenden technischen Möglichkeiten – auch nicht sollten. Eine Gesellschaft lebt durch die Individualität der Einzelnen – ob „behindert“ oder „gesund“ soweit diese Begriffe überhaupt klare Grenzen besitzen. Auch wenn Behinderung, Krankheit, Leid und Tod individuell sowie gesellschaftlich oft große Herausforderungen darstellen, ist der Umgang damit ein eindrücklicher Maßstab der ethischen Qualität einer Zivilisation.