Der aktuell vorliegende Entwurf zum Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) spiegelt durchaus ein ernsthaftes Bemühen der Politik wider, der Schutzbedürftigkeit von schwerstkranken Menschen unter Berücksichtigung ihrer Autonomie gerecht zu werden. Dem Anspruch der Regierung, in dem durch den VfGH vorgegebenem Rahmen eine gleichermaßen restriktive wie präventive gesetzliche Regelung zu finden, wurde in den Augen des Salzburger Ärzteforums jedoch noch nicht gänzlich Rechnung getragen.
Durch die Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshof, assistierten Suizid in Österreich ab 1.1.2022 zuzulassen, erfolgte aus medizinethischer Perspektive ein Dammbruch, durch den der bisherige Konsens hinsichtlich der Aufgabe des Staates, menschliches Leben unbedingt und uneingeschränkt zu schützen, substantiell unterminiert wurde.
Die österreichische Bundesregierung war nun seit Jahresbeginn mit der Aufgabe konfrontiert, einen entsprechenden Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Dieser liegt seit heute in Form eines „Sterbeverfügungsgesetzes“ zur Begutachtung vor. Der zeitliche Rahmen für das nun bevorstehende Begutachtungsverfahren ist denkbar knapp bemessen, will man fristgerecht erreichen, dass das Gesetz mit 1.1.2022 in Kraft tritt. Dadurch steht leider kein der Tragweite der Thematik angemessener Zeitraum für öffentliche Diskussion und Einarbeitung von Verbesserungsvorschlägen zur Verfügung.
Das Salzburger Ärzteforum hat sich nicht zuletzt durch die Veranstaltung eines großen Kongresses im Rahmen der Salzburger Bioethikdialoge 2020 und einer umfassenden Webinar-reihe der Salzburger Bioethikdialoge 2021 intensiv mit der Thematik des assistierten Suizides auseinandergesetzt und erlaubt sich hiermit, angesichts seiner fachlichen Expertise und medizinischen Kompetenz zum vorliegenden Gesetzesentwurf differenziert Stellung zu nehmen:
- Positiv zu vermerken ist die ausdrückliche Sicherung der Gewissensfreiheit für Angehörige aller medizinischen Fachbereiche. Allerdings findet sich im Text nicht, ob assistierte Suizide in Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens (Spitälern) und der Patientenbetreuung (z.B. Pflegeheimen) stattfinden dürfen oder unzulässig sind, was aus unserer Sicht zu fordern ist. Krankenhäuser, Senioren- und Pflegeheime waren bisher Orte, in denen die Beendigung eines Menschenlebens ein Tabu war und sich Menschen in Bezug auf ihre körperliche und seelische Integrität sicher fühlen durften. Dies sollte unbedingt so bleiben. Zumindest muss die Option einer folgenlosen Ablehnung von assistierten Suiziden in der eigenen Einrichtung durch Träger von Krankenanstalten oder Pflegeeinrichtungen gesetzlich unbedingt und explizit gewährleistet sein.
- Neben unheilbaren, zum Tode führenden Krankheiten werden auch schwere, dauerhafte Erkrankungen mit anhaltenden, dauerhaft beeinträchtigenden Symptomen angeführt, um eine Sterbeverfügung zu erlangen. Hiermit sind also auch per se nicht lebensbedrohliche chronische Krankheiten wie z.B. schwere rheumatische Erkrankungen inkludiert. Der Einschluss eines derart breiten Krankheitsspektrums ist in unseren Augen ebenso problematisch wie die unscharfe Abgrenzung von körperlich schwer beeinträchtigten / behinderten Personen, da dies Betroffenen suggeriert, dass angesichts ihrer Behinderung ein assistierter Suizid eine in Erwägung zu ziehende Option sein könnte – ein Widerspruch zu jahrzehntelangen Integrationsbemühungen von Menschen mit Beeinträchtigung.
- Dass die Aufklärung durch zwei ärztliche Personen zu erfolgen hat, von der eine palliativmedizinisch ausgebildet sein muss, ermöglicht zwar, jede(n) Sterbewillige(n) über palliativmedizinische Behandlungsoptionen aufzuklären. Andererseits widerspricht eine Selbsttötung und Beihilfe zur Selbsttötung klar den Grundsätzen der Palliativmedizin – Gewissenskonflikte bei Palliativmedizinern erscheinen vorprogrammiert.
- Nicht nachvollziehbar ist hingegen der Verzicht auf die routinemäßige Einbeziehung der psychiatrisch-psychologischen Fachexpertise im Rahmen der vorgesehenen Aufklärung – insbesondere da eine Diagnose einer relevanten psychischen Störung nicht sicher durch Mediziner aus anderen Fachbereichen gewährleistet ist.
- Äußerst begrüßenswert ist der zeitgleich von der Regierung vorgelegte, längst überfällige Entwurf zur gesetzlichen Absicherung des Ausbaus der Hospiz- und Palliativversorgung.
Nach der gesetzlich verankerten Option des assistierten Suizids wird wohl in nicht allzu ferner Zukunft auch der Ruf nach der „Tötung auf Verlangen“ – also der aktiven Tötung eines Menschen durch einen anderen – unter Hinweis auf den Gleichheitsgrundsatz – lauter werden. Mit Blick auf die Benelux-Staaten ist vorgezeichnet, wohin dies führt. Obwohl sich nach dem VfGH-Urteil 2020 fast alle Parlamentsparteien für ein striktes Verbot der „Tötung auf Verlangen“ aussprachen, wurde nun – offensichtlich aufgrund des Vetos des kleineren Koalitionspartners – auf den Versuch verzichtet, dieses Verbot unumstößlich in Form eines Verfassungsgesetzes zu verankern. Ein für die Zukunft potentiell desaströses Versäumnis.