Durch den Entscheid des Österreichischen Verfassungsgerichtshof, assistierten Suizid in Österreich ab 1.1.2022 zuzulassen, steht die Politik seit Jahresbeginn vor der Aufgabe, einen entsprechenden Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Der zeitliche Rahmen ist mittlerweile denkbar knapp – schon in 3 Monate soll durch ein Gesetz eine klare Regelung in Österreich in Kraft treten. Ein Gesetzesentwurf lässt jedoch weiter auf sich warten.
In der Berichterstattung ist es erstaunlicherweise sehr still geworden: Weder in politischen Diskussionen noch in der (medialen) breiten Öffentlichkeit wird diese Frage thematisiert … andere aktuelle Themen scheinen derzeit wichtiger zu sein. In Wahrheit wird jedoch kaum eine andere Gesetzgebung in den nächsten Jahrzehnten derart gravierende und langfristige gesellschaftliche und gesundheitspolitische Folgen nach sich ziehen, wie jene, die regeln soll, wer wann unter welchen Bedingungen und Umständen von wem unterstützt werden darf, um das eigene Leben zu beenden – und worin die Grenzen dafür bestehen.
Aus ärztlicher Sicht geht es um viel mehr als um die Frage der Autonomie und des freien Willensentscheids der Patienten:
In Umfragen in der Bevölkerung (z.B. Sterbehilfe: Verein sieht sich durch Umfrage bestätigt – news.ORF.at ) wurde wiederholt der Wunsch artikuliert, dass die Sterbeassistenz ausschließlich durch Ärzte /-innen erfolgen sollte. Aus der Sicht jener Menschen, die einen assistierten Suizid grundsätzlich als Option für das eigene Ableben und jenes ihrer Angehörigen in Betracht ziehen, ist dies auf den ersten Blick nachvollziehbar: Wenn Mediziner aufgrund ihrer umfassenden Ausbildung als Profis für die Aufgabe gelten, Menschen im Krankheitsfall zu heilen, Leid zu lindern und auch – wenn möglich – vor dem Tod zu retten, um wie viel leichter sollte es nicht Ärztinnen und Ärzten fallen, ebenso professionell zu einem „sanften“ Tod zu verhelfen – und das wohl am besten im sicheren Umfeld einer Klinik. Konnte und wollte man der modernen Medizin bisher in der Vorsorge und Behandlung von Krankheiten ebenso vertrauen wie bei der Linderung von Schmerz und Leid am Ende des Lebens – so möchte man sich auch nun die ärztliche Hilfestellung sichern, wenn es darum geht, rasch, schmerzfrei und komplikationslos das eigene Leben zu beenden. Und man begründet dies mit dem Anspruch auf ein „würdevolles“ Sterben – auf welches man dasselbe „Recht“ habe wie auf Gesundheit.
Nun – auf den ersten Blick ist das Ansinnen verständlich, Ärztinnen und Ärzte in die Pflicht nehmen und ihrem Leistungskatalog eine weitere „medizinische Leistung“ hinzuzufügen zu wollen. Vergessen wird dabei etwas Grundlegendes: Es ist schlicht und einfach nicht unsere Aufgabe als Ärztinnen und Ärzte, Menschen zu töten, ihr Leben aktiv zu beenden – weder durch eine direkte Handlung noch indem wir sie selbst darin unterstützen. Nicht nur ein Jahrtausende alter Berufskodex verbietet uns dies aus gutem Grund, sondern es geht auch um die tiefe Vertrauensbeziehung zwischen Patienten und Ärzten, in der eine bewusste und beabsichtigte ärztliche Handlung gegen das physische, psychische und seelische Wohl des anvertrauten Patienten gänzlich undenkbar und obsolet bleiben muss. Objektive Kriterien, die eine Indikation zum assistierten Suizid darstellen würden, gibt es nicht. Auch aus diesem Grund ist die ärztliche Zuständigkeit für assistierten Suizid nicht nachvollziehbar und abzulehnen. Österreichische Ärztinnen und Ärzte waren bisher – mit Ausnahme der unbeschreiblichen ärztlichen Schandtaten im Dritten Reich – Garanten dafür, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um zu heilen und zum Leben zu helfen. Die im Widerspruch dazu stehende Tötung eines Menschen kann und darf auch künftig nicht im Therapie-Portfolio von uns Ärztinnen und Ärzten enthalten sein!
Ähnliches gilt für den Ort, wo assistierte Suizide durchgeführt werden sollen: Krankenhäuser, Ordinationen, Senioren- und Pflegeheime waren bisher Orte, in denen sich Menschen zu Recht vor Angriffen auf ihre körperliche und seelische Integrität sicher fühlen durften. Gerade aus diesem Grund erregten (die glücklicherweise sehr seltenen) Verstöße gegen dieses Prinzip in der Vergangenheit mit Recht so viel Aufsehen und Abscheu. Diese Sicherheit und Geborgenheit in österreichischen Spitälern und Pflegeeinrichtungen muss mit allen Mitteln auch künftig bewahrt werden.
Aus unserer Sicht muss daher die künftige Gesetzgebung zum assistierten Suizid dafür klar und unumstößlich Sorge tragen, dass
1. assistierter Suizid nicht als ärztliche Aufgabe deklariert wird
2. jeder – egal ob Mediziner oder nicht – die Assistenz am Suizid folgenfrei ablehnen darf
3. dieser nicht in Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens und Pflegeeinrichtungen durchgeführt werden darf bzw.
4. künftig Träger von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen folgenlos assistierte Suizide in ihren Institutionen ablehnen können.
Nach der gesetzlich verankerten Option des assistierten Suizids wird wohl in nicht allzu ferner Zukunft auch der Ruf nach der „Tötung auf Verlangen“ – also der aktiven Tötung eines Menschen durch einen anderen – unter Hinweis auf den Gleichheitsgrundsatz – lauter werden. Mit Blick auf die Benelux-Staaten wissen wir, wohin dies führt. Die besondere Herausforderung für die österreichische Politik liegt unter anderem darin, gesetzlich klar und für die Zukunft (auch für den VfGH) unumstößlich „Tötung auf Verlangen“ nach Möglichkeit in Form eines Verfassungsgesetzes zu verbieten. Es ist zu hoffen, dass hierzu politischer Wille und Mut bestehen.